Accommodating Extractivism
Forschungsschwerpunkt: Zeitgeschichte und Archiv
Projektleitung im IRS: Dr. Ksenia Litvinenko
Projektteam: Dr. Monika Motylińska
Förderorganisation: Deutsche Forschungsgemeinschaft
Laufzeit: 12/2024 - 11/2026
Anhand von Archivrecherchen über sowjetische Planungs- und Bauunternehmen untersucht das Forschungsprojekt kritisch die materielle Transformation Westsibiriens zur weltweit größten Förderregion für fossile Brennstoffe während des späten sowjetischen Öl- und Gazbooms. Wie wurden die Ziele in der Förderung durch den Staat mittels Stadtplanung, Architektur und Bautechnologien geformt und umgestaltet? Welche Folgen hatte dies für die lokalen indigenen Gemeinschaften und die sowjetische Gesellschaft im Allgemeinen?
Um diese Fragen zu beantworten, untersucht das Projekt drei räumliche Interventionen, die für die Transformation Westsibiriens in ein rohstoffzentriertes Gebiet von zentraler Bedeutung waren: die Einrichtung eines Netzwerks von Fly-in-Fly-out-Siedlungen, das die Mobilität von Arbeitern der extrativen Industrie und Geologen aus der gesamten Sowjetunion förderte; die Herstellung und Verbreitung mobiler Behausungen und die damit verbundenen „Akklimatisierungs“-Theorien für neu ankommende Siedler; und eine Reihe von Bautechnologien, die darauf abzielten, die sowjetische ressourcengesteuerte industrielle Modernisierung in dem herausfordernden Terrain Westsibiriens, das durch gefrorene Erde, Sümpfe, große Entfernungen und niedrige Temperaturen gekennzeichnet ist, skalierbar zu machen.

Eine Zeichnung des Wohngebiets der Fly-in-Fly-out-Gassiedlung Jambourg von YIT Oyj.
Central Archives for Finnish Business Records.
Das Projekt wird außerdem untersuchen, wie diese Eingriffe die anhaltende Vertreibung der Khanty, Nenets und anderer indigener Gruppen in der Region begünstigten, ihre Beziehungen zur Umwelt marginalisierten und ihre materielle Kultur zur Inspiration von Vorstellungen über tragbare Architektur nutzten.
Vorläufige Untersuchungen haben unerwartete transregionale und internationale Verbindungen bei der Entwicklung von baulichen Umgebungen aufgedeckt, die die Mobilität der Arbeitskräfte für die westsibirischen Rohstoffindustrien erleichtern sollten.

Lieferung von Wohnmobilen aus dem Maschinenbaubetrieb Tallinn an die Gaspipelinebauer des Öl- und Gasfeldes Tjumen.
Estonian Film Archives (EFA), EFA.250.0.46171.
So wurden beispielsweise bedeutende Ölsiedlungen wie Kogalymsky und Lyantorsky zusammen mit der für die Erdölförderung wichtigen Straßeninfrastruktur von Organisationen mit Sitz im sowjetischen Estland, Litauen und Lettland gebaut. Das in Finnland ansässige Bauunternehmen YIT war an der Planung und dem Bau der Gassiedlung Yambourg beteiligt. Außerdem wurde der Unimo, eines der beliebtesten mobilen Wohnmodelle für Schichtarbeiter in diesen sibirischen Fly-in-Fly-out-Siedlungen, von der Tschechoslowakei geliefert. Daher finden sich heute in diesen Nachfolgestaaten Archivalien zu diesen Projekten.
Die Intensivierung solcher überregionalen und internationalen Kooperationen in den 1980er Jahren war der Grund für die Entscheidung, das Projekt chronologisch zu fokussieren. Diese Erkenntnisse erleichtern die Erforschung der extraktivistischen Dynamik in Westsibirien, obwohl die russischen Archive derzeit nicht zugänglich sind.
Die Archivarbeit für das Projekt begann im Frühjahr 2025, wobei die Recherchen in Estland, Lettland, Finnland und Kanada durchgeführt wurden. Das Projekt wird von Dr. Ksenia Litvinenko im Rahmen einer Walter-Benjamin-Stelle bearbeitet. Während ihrer Förderung wird Litvinenko als Mitglied der Forschungsgruppe „Geschichte der gebauten Umwelt“ unter der Leitung von Monika Motylińska mitwirken.