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Home // Wissenschaftliche Sammlungen // Fundstücke aus dem Archiv // 06 - Die „Abrisskartei“ zum Berliner Stadtschloss
Fundstück Nr. 6 vom Oktober 2020 - von Stefanie Brünenberg

Die „Abrisskartei“ zum Berliner Stadtschloss

Am 17. Dezember 2020 wird – coronabedingt vermutlich in einem eher kleinen Kreis – das „Humboldt Forum im Berliner Schloss“ eröffnet. Damit wird die Rekonstruktion des Barockschlosses, das im Zweiten Weltkrieg zum Teil zerstört und 1950 abgerissen wurde, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diesen Anlass nutzen wir, um in diesem Monat einen schlossbezogenen Fund aus unserem Archiv vorzustellen: Die sogenannte „Abrisskartei“, ein umfangreicher Satz Karteikarten, die von einer Forschungsgruppe um den Denkmalpfleger Gerhard Strauss (1908–1984) zur Dokumentation des teilzerstörten Berliner Schlosses im Jahr 1950 angefertigt wurde.

 

Die Debatten um den Neubau an Stelle des zwischen 2006 und 2008 abgerissenen Palastes der Republik haben die Architekturgeschichte der letzten 20 Jahre geradezu erschüttert: Befürworter*innen und Gegner*innen der nun beinahe vervollständigten (Teil-)Rekonstruktion des barocken Schlosses standen sich jahrelang in Diskussionen gegenüber, die inzwischen weit über dieses Berliner Rekonstruktionsbeispiel hinaus geführt werden. Dabei ist der Neubau auch als Höhepunkt einer Wahrnehmungsdebatte zu den Umständen des Schlossabrisses ab Herbst 1950 zu bezeichnen: Noch im Jahr 2000 betitelt der Historiker Bernd Maether seine diesbezügliche Publikation mit Die Vernichtung des Berliner Stadtschlosses und fasst seine Ausführungen mit den Worten zusammen: „Wir haben jetzt im neuen Berlin die einmalige Chance, diese Tat rückgängig zu machen und das Schloss in seinen wesentlichen Teilen wieder aufzubauen.“ (Maether 2000, S. 145)

Situationsaufnahme der Sprengung des Schlüterhofes

Auch andere Publikationen zur Geschichte des Berliner Stadtschlosses rücken die negative Darstellung des Schlossabrisses in den Fokus ihrer Betrachtungen: Bodo Rollka und Klaus-Dieter Wille veröffentlichen 1987 eine der wenigen westdeutschen Publikationen unter dem Titel Das Berliner Stadtschloss. Geschichte und Zerstörung. Sie führen aus, dass es fast einzig und allein der Kunsthistoriker Richard Hamann (1879–1961) gewesen sei, der die Sprengarbeiten am Berliner Schloss 1950 zu verhindern versucht habe. Auch in einer 1999 erschienenen Monografie von Renate Petras – ebenfalls unter dem tendenziösen Titel Das Schloss in Berlin. Von der Revolution 1918 bis zur Vernichtung 1950 – wird die besondere Rolle Hamanns „gewürdigt“: Er allein sei es gewesen, der ständig gegen die Sprengungen des Schlosses vorgegangen sei, offene und direkte Briefe an alle Entscheidungsträger geschrieben und sogar vor Ort versucht habe, mit den zuständigen Sprengmeistern zu diskutieren, um den Abbruch des Schlosses zu verhindern. Es wird somit suggeriert, dass er als Einzelperson gegen die Windmühlen der DDR-Regierung gekämpft und schlussendlich notgedrungen versagt habe. Ihm gegenüber als Antagonist wird Gerhard Strauss beschrieben, der unter anderem mit seinem thesenhaft formulierten Beitrag „Was ist das Berliner Schloß“ den Abriss des Schlosses befördert und vorangetrieben habe. Dabei hat Strauss auf Anweisung des Ministeriums für Aufbau das sogenannte „Wissenschaftliche Aktiv“ gegründet, das die Dokumentation und Sicherstellung der kunsthistorisch wertvollsten Bauelemente leitete. Nach neuesten Inventarisationsmethoden wurde das Schloss durch dieses „Aktiv“ bauhistorisch dokumentiert: Studierende aus Weimar, Greifswald und Berlin vermaßen Baubestand und -ornamentik exakt, fotografierten alle Details und kommentierten ihre Lage und ihren Zustand. In einem zweiten Schritt beauftragte Strauss Steinmetze, um wichtige Elemente vom Bau abzuschlagen und einzulagern.


Abbildung 2: Aufnahme einer Armierung, die innerhalb eines Kapitells verbaut war
Abbildung 3: Situationsaufnahme der Sprengung des Schlüterhofes
Abbildung 4: Der sogenannte „Apothekenflügel“ nach seiner Sprengung
Abbildung 5: Aufnahme einer der Figuren am Gigantenportal

Die Fotokartei ist das umfangreichste Ergebnis des „Wissenschaftlichen Aktivs“, das seine Arbeit aus Ermangelung von Zeit und finanzieller Vergütung nicht zu Ende führen konnte (Tuma 2017, S. 87–88). Es existieren zwei Sätze dieser Karteikartensammlung: Ein Satz liegt im Brandenburgischen Landesdenkmalamt (BLDAM) in Wünsdorf, der andere ist teilweise ebenfalls dort und teilweise in den Wissenschaftlichen Sammlungen in Erkner. Der Teil in Erkner umfasst 1418 Karteikarten: Jede dieser Karteikarten ist mit einem Kontaktabzug versehen und handschriftlich betitelt und katalogisiert (siehe Abbildungen 2 bis 4). Der hohe Detailgrad der Kategorisierung dieser Karteikarten beweist den hohen Aufwand, den das „Wissenschaftliche Aktiv“ zur Baudokumentation betrieben hat. Unter den Kontaktabzügen finden sich nicht nur Detailaufnahmen von Bauornamentik, sondern auch konstruktive Elemente und Fotografien von ganzen Fassadenabschnitten, sowohl vor, während als auch nach der Sprengung. Die Kombination aus Buchstaben und Zahlen, die auf jeder einzelnen Karteikarte vermerkt ist, gibt die genaue Verortung des abgebildeten Bauteils an: In Verbindung mit dem Bergungsregister lassen sich Rückschlüsse auf den Verbleib der Ornamentik ziehen. Teilweise wurden genauere Bezeichnungen wie „1. Figur von Süden“ hinzugefügt (siehe Abbildung 5). Die diesem Artikel beigefügten Karteikarten dokumentieren das Gigantenportal (Bergungsbereich E).

Ausführlich aufgearbeitet wurden diese Karteikarten, selbstverständlich inklusive des Bestandes im BLDAM, von der Kunsthistorikerin Anja Tuma. Ihre Aufarbeitung ist sehr detailliert und die Analyse der Fotografien lässt sich online einsehen. Sie hat mit ihrer Arbeit die umfangreichen Tätigkeiten des Wissenschaftlichen Aktivs gewürdigt und urteilt: „Das Wissenschaftliche Aktiv befindet sich nach der Sprengung in einer fatalen Situation. Der Vorwurf lautet, dass es sich an der Zerstörung des Schlosses und damit an der ‚Vernichtung von Kulturgut‘ beteiligt habe. Die Rechtfertigung des Wissenschaftlichen Aktivs ist, dass es wissenschaftlich, umfassend und mit großem Einsatz erhaltene Bausubstanz dokumentiert und gesichert hat.“ (Tuma 2017, S. 260)

Damit müsste auch die Rolle von Gerhard Strauss neu bedacht werden: Die durch ihn geleitete Forschungsgruppe hat sich nach aktuellsten wissenschaftlichen Standards mehr als bemüht, Grundlagen für weitere Forschungen am Berliner Schloss zu schaffen. Da allerdings zu DDR-Zeiten keine der bis dahin erlangten Erkenntnisse publiziert werden konnten, blieb die Arbeit des Wissenschaftlichen Aktivs bis vor wenigen Jahren im Dunkeln. Erst Anja Tuma hat den Bestand aufgearbeitet und dabei auch festhalten können, welche Bauteile noch eingelagert waren: Leider sind mehr als 85 % des Bestandes inzwischen verloren gegangen.

Auf der offiziellen Webseite der Stiftung Humboldt Forum wird der Neubau als Verbindung aus Teilen „des 1945 zerstörten und 1950 gesprengten Berliner Schlosses“ und „modernen Stilelementen“ beschrieben. Die Bauornamentik ist mit hohem Aufwand und mithilfe vieler privater Spenden neu erstellt worden. Anhand der Fotokartei in den Wissenschaftlichen Sammlungen können diese mit dem ursprünglichen Bauzustand verglichen werden.


Quellennachweis

 

Alle Abbildungen: IRS Erkner / Wissenschaftliche Sammlungen; Bestand A_14 [Dokumentation Baugeschichte]
 

 

Literatur

 

Maether, Bernd: Die Vernichtung des Berliner Stadtschlosses. Eine Dokumentation. Berlin 2000.


Petras, Renate: Das Schloss in Berlin. Von der Revolution 1918 bis zur Vernichtung 1950. Berlin 1999.


Rollka, Bodo / Wille, Klaus-Dieter: Das Berliner Stadtschloss. Geschichte und Zerstörung. Berlin 1987.


Tuma, Anja: Denkmalpflege am Berliner Schloss. Über die Dokumentation des Wissenschaftlichen Aktivs seit der Sprengung des Schlosses 1950. Berlin 2017.


Website des Humboldt Forums: www.humboldtforum.org