Aufhaltsames Sammeln – Kurt Junghanns‘ Werben um den Nachlass des Bauhausdirektors Hannes Meyer (1968)
2021 bestehen die Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS in dieser Form seit 30 Jahren, aber auch ihre Vorgeschichte zu DDR-Zeiten umfasst mehrere Jahrzehnte. Die eigene Sammlungsgeschichte zu kennen ist wichtig insbesondere zum Verständnis dessen, was wann warum wie gesammelt wurde – Fragen, die im Hinblick auf Archive, Bibliotheken und Museen zu Recht auch öffentlich zusehends auf Interesse stoßen. Ein erster Beitrag des Autors zur frühen Geschichte unseres Archivs erschien soeben im Konferenzband zur sammlungsgeschichtlichen Tagung »Logik und Lücke« des Leibniz-Forschungsverbunds Historische Authentizität, die 2019 stattfand [1]. Darin geht es vor allem für die 1960er Jahre und anhand von Beständen in drei Archiven um die Aktivitäten von Kurt Junghanns (1908–2006), führender Bauhistoriker an der Bauakademie in Ost-Berlin – ein interessanter, eigensinniger kommunistischer Intellektueller und passionierter Sammler, heute vor allem bekannt als Bruno-Taut-Experte – zur Gründung eines DDR-Architekturmuseums und/oder zur Erwerbung von Architektennachlässen. Eine Geschichte voller Wendungen und Widersprüche, angefangen damit, dass es schwer fällt festzustellen, wie ernst es Junghanns selbst zu verschiedenen Zeiten mit der (mangels Unterstützung gescheiterten) Museumsidee war. Immerhin gelang es unter anderem, Teilnachlässe von Max Berg und Bruno Taut zu erwerben (auch wenn in Tauts Fall die Initiative ursprünglich nicht bei Junghanns lag). Stets mitzudenken beim Museumsprojekt, das dann Ende der 1980er Jahre mit Blick auf Dessau noch einmal auflebte, sind die allgemeinen Umbrüche in Politik, Ideologie und Bauwesen der DDR und die sich mit der Zeit mitunter stark wandelnde Einstellung der maßgeblichen Kreise in Partei und Staat (und teils auch bei Junghanns selbst) zu Tendenzen der jüngeren Architekturgeschichte. Eine besondere Rolle kam dabei stets der Bewertung des Bauhauses und von dessen Protagonisten zu.
Das Fundstück widmet sich einem der vielen Briefe von Junghanns (und zum Teil anderen aus seiner Abteilung) an potenzielle Nachlasser bzw. deren Erbinnen und Erben, hier einem aus dem Jahr 1968 an Lena Meyer-Bergner (1906–1981), die in Basel lebende Witwe und Nachlassverwalterin des zweiten Bauhausdirektors (von 1928 bis 1930) Hannes Meyer (1889–1954). In dem Teil der Unterlagen von Junghanns und der von ihm geleiteten Abteilung für Theorie und Geschichte des Instituts für Städtebau und Architektur (ISA) der Bauakademie, der sich im IRS (das nach der Wende aus dem ISA hervorging) erhalten hat, findet sich eine Korrespondenz mit Meyer-Bergner von 1964 bis 1970, anfänglich noch durch Junghanns‘ Mitarbeiter Karl-Heinz Hüter (geb. 1929) geführt, der intensiv zum Bauhaus forschte. [2] Von Interesse ist sein Vorhandensein schon deshalb, weil der Forschung bislang nur bekannt war, dass es seit den 1970er Jahren intensive Bemühungen seitens verschiedener Akteure in der DDR (vor allem Konrad Püschel und Bernd Grönwald) gab, den Meyer-Nachlass für Dessau zu erwerben. Im Sommer 1989, nach Jahre langen, verwickelten Auseinandersetzungen seit dem Tod Meyer-Bergners, war es dann soweit: Der Nachlass, soweit er sich noch bei der Witwe befand, wurde zwischen der ETH Zürich und dem Bauhaus Dessau aufgeteilt. Letzteres erhielt vor allem Unterlagen zu Meyers Zeit am Bauhaus, in der Sowjetunion und Mexiko. [3] Das Interesse in der DDR am Meyer-Nachlass reicht aber eben noch weit länger zurück – was faszinierend ist angesichts der in Ost- wie Westdeutschland lange Zeit umstrittenen Person des Schweizers und Linkssozialisten Meyer, der stets im Schatten der beiden anderen Direktoren Walter Gropius (1883–1969) und Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969) stand. In der DDR war Meyer zunächst tendenziell als »Funktionalist« verschmäht, hinzu kam sein ambivalentes Verhältnis zur Sowjetunion; während auf dem Gebiet der DDR aber mit der Gewerkschaftsschule in Bernau bei Berlin (errichtet 1928 bis 1930) zugleich ein markantes, stark genutztes Bauwerk von ihm (und dem ebenfalls aus der Schweiz stammenden Hans Wittwer) stand.
Brief von Kurt Junghanns an Lena Meyer-Bergner vom 11. November 1968 [pdf, 1,41 MB]
Meyers Witwe, selbst eine bedeutende Textilkünstlerin und Bauhäuslerin, wollte den Nachlass jedenfalls partout nicht nach Westdeutschland (insbesondere nicht an das Bauhaus-Archiv in Darmstadt bzw. später West-Berlin) abgeben und fand offenbar schon Jahrzehnte vor ihrem Tod den Gedanken sympathisch, die DDR zu bedenken, ohne aber zu ihren Lebzeiten definitive Schritte einzuleiten. Der Bestand, hätte er schon viel früher in die DDR geholt werden können, wäre mit die hochkarätigste Erwerbung unter Junghanns gewesen und hätte gewiss für Aufsehen gesorgt.
Ein allererster knapper Hinweis auf ein allgemeines Interesse an dem Nachlass des damals noch nicht lange verstorbenen Meyer seitens des seinerzeit noch eigenständigen Bauakademie-Instituts für Theorie und Geschichte der Baukunst findet sich sogar bereits 1957! [4] Umso wichtiger wäre es, den Kontakt und Briefwechsel zwischen Bauakademie (mit verschiedenen Beteiligten) und Meyer-Bergner an anderer Stelle einmal umfassend zu dokumentieren und zu betrachten.
In seinem dreiseitigen maschinenschriftlichen Schreiben vom 11. November 1968, im IRS erhalten als Durchschlag, knüpft Junghanns, der Meyer-Bergner hier erstmals selbst schreibt, zunächst an deren Kontakt zu Konrad Püschel (1907–1997) an, Dozent für Dorfplanung an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar, Bauhausabsolvent und Meyer-Schüler. Dieser habe ihm berichtet, sie wolle Unterlagen ihres Mannes übergeben (der genaue Umfang bleibt unbestimmt), was hoch willkommen sei, »da uns an einer Würdigung seiner Leistung viel gelegen ist«. Junghanns fährt in wohl abgewogenen Worten fort: Den »Bauhauskult[ ]« etwa von Seiten Hans Maria Winglers (1920–1984), des Gründers des Bauhaus-Archivs, lehnten sie gewiss beide gleichermaßen ab; der »Bauhausrummel« in West-, aber mittlerweile durchaus auch in Ostdeutschland sei seine Sache nicht, wohl aber müsse der Solitär Meyer endlich seine verdiente Beachtung finden. Wobei anhand des Nachlasses unter anderem zu hoffen sei, »noch einiges Kritisches zum Gropius-Bauhaus [zu] finden«, auch sei er sehr an verschiedenen Informationen aus erster Hand von ihr selbst als Zeitzeugin interessiert. Eine lange Passage über führt Junghanns den Gedanken weiter aus, Meyer (der »die soziale Frage als neue Stoßkraft gegen die Tradition und als Urgrund der Form einsetzte«) als Antipoden der Ikone Gropius zu begreifen (welcher »die neue Form in Architektur und Produktgestaltung mit Hilfe der abstrakten Maler und ihrem Antitraditionalismus zu finden« hoffte). Der auch kurz erwähnte Mies als Meyers Nachfolger findet bei Junghanns etwas mehr Gnade, doch habe das Bauhaus unter ihm aufgehört, »eine Lehrstätte besonderer Art zu sein«.
Webereiklasse auf der Bauhaustreppe 1927 oder 1928, links im Vordergrund Lena Meyer-Bergner.
Foto: Oskar Schlemmer; aus: Wikimedia Commons
Erst nach diesem auf Meyer-Bergner gemünzten Auftakt unterstreicht Junghanns in aller Kürze erste Erfolge seiner Sammeltätigkeit, wobei der Hinweis auf den in der DDR wirkenden Architekturtheoretiker Hans Schmidt (1893–1972) Interesse verdient, der ebenfalls Schweizer war. Aber: Ein »besonderes Archiv mit eigenem Gebäude« gebe es noch nicht (die Adressatin hatte sich ein halbes Jahr zuvor bei Püschel nach den entsprechenden früheren Plänen erkundigt, über die sie durch Hüter grob informiert war [5]), weshalb die bisherigen (und künftigen) Erwerbungen »zunächst Teil unserer wissenschaftlichen Sammlung« (handschriftlicher Zusatz: »in der Bauakademie«) seien – übrigens vielleicht das erste Mal, dass diese Bezeichnung erscheint, die dem heutigen Namen unseres Archivs bereits ähnelt. Besonders bemerkenswert: Junghanns spricht gleich anschließend von mangelndem Geschichtsbewusstsein in der DDR, und zwar im Gegensatz zum »Westen«! Und dann die nicht minder interessante Aussage: »[W]ir steuern insgeheim auf ein selbständiges Architekturmuseum hin.« [6] Junghanns schließt mit dem Vorschlag, Meyer-Bergner im kommenden Jahr in Basel zu besuchen, ggf. zusammen mit Hüter, um den Nachlass in Augenschein zu nehmen (was diese vorgeschlagen hatte).
Es würde sich lohnen, Inhalt, Ton und Schreibsituation eingehender zu analysieren. Interessant ist sicherlich, wie sehr Junghanns nicht nur versucht, seine Expertise herauszustellen und Meyer-Bergners Sympathie zu gewinnen, sondern dass er sich als durchaus unabhängigen Geist darstellt: über bestimmte Folgen des politischen Kurses in der DDR trotz seiner kommunistischen Überzeugung erhaben, über die Bundesrepublik im Bilde, die Konkurrenz um Bauhaus-Nachlässe und -Deutungen in Rechnung stellend. Probleme beim angemessenen Ausgestalten des Sammelns deutet er offen an, wobei er selbst das Vorhaben eines Architekturmuseums »insgeheim« verfolge. Bemerkenswerte Formulierungen, auch in ihrer Saloppheit, und erwähnenswert ist, dass Junghanns den Brief nicht mit der Instituts-, sondern mit seiner Privatadresse in Berlin-Pankow versah, was eher selten vorkam.
Aus verschiedenen Gründen verlief Junghanns‘ Initiative im Sand, auch wenn er und Meyer-Bergner ihre nunmehr direkte Korrespondenz noch bis mindestens 1970 sporadisch fortführten. Für die viel spätere erfolgreiche Übernahme des Meyer-Teilnachlasses durch das Bauhaus in Dessau noch zu DDR-Zeiten, betrieben mit viel Engagement und unter insgesamt günstigeren Umständen, sind Hüters und Junghanns‘ frühere Kontaktaufnahmen und Bemühungen der 1960er Jahre aber wohl keineswegs unbedeutend. Wenn zusätzlich noch der knappe Hinweis von 1957 mitgedacht wird, haben maßgebliche Akteure der DDR-Baugeschichtsforschung insgesamt über 30 Jahre lang, wenn auch mit langen Unterbrechungen und unter ganz verschiedenen Voraussetzungen, auf eine Übernahme des Nachlasses von Hannes Meyer hingearbeitet. Geduld und Beharrlichkeit zahlten sich schließlich aus.
Quellennachweis
IRS Erkner / Wissenschaftliche Sammlungen, Bestand A 03 Abteilung Theorie und Geschichte, Sig. A 3_54
(darin verschiedende Schriftwechsel von Kurt Junghanns sowie Karl-Heinz Hüter und Waltraud Volk insbesondere, aber nicht nur mit internationalen Partnern)
Anmerkungen
[1] Kai Drewes, Museumsrhetorik? Der Bauhistoriker Kurt Junghanns und der Aufbau einer Architektursammlung an der Bauakademie in Ost-Berlin, in: Michael Farrenkopf, Andreas Ludwig und Achim Saupe (Hgg.), Logik und Lücke. Die Konstruktion des Authentischen in Archiven und Sammlungen, Göttingen 2021, S. 215–235 (S. 229 f. ein Zitat aus dem Brief von Junghanns an Meyer-Bergner mit Kommentierung). Zur Veranstaltung siehe auch Tobias Schade und Aikaterini Filippidou, Tagungsbericht: Logik und Lücke. Zur Konstruktion des Authentischen in Archiven und Sammlungen, 4.4.2019–5.4.2019 München, in: H-Soz-Kult, 25. Juni 2019 (unter www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-8330), und das Tagungsprogramm.
[2] Siehe dazu Sabine Seifert, Der Hüter des Bauhauses, in: die tageszeitung vom 27./28. Juli 2019, S. 29, auch online unter taz.de/Der-Hueter-des-Bauhauses/!5609115.
[3] Zur Erwerbungsgeschichte siehe Wolfgang Thöner, Grüner Funktionalismus? Zur Rezeption am Wissenschaftlich-Kulturellen Zentrum Bauhaus Dessau, in: Thomas Flierl und Philipp Oswalt (Hgg.), Hannes Meyer und das Bauhaus. Im Streit der Deutungen, Leipzig 2018, S. 567–580, hier S. 573–575; ders. und Christin Müller-Wenzel, Fortschrittliches Bauhauserbe. Zur Entstehung einer ostdeutschen Bauhaussammlung (= Edition Bauhaus, Nr. 54), Leipzig 2019, S. 97–101. Eine geringe Zahl von Meyer-Unterlagen erwirkte Ende der 1970er Jahre auch schon Bernd Grönwald, damals Professor in Weimar, von Lena Meyer-Bergner; dieser Teilbestand befindet sich jetzt im Archiv der Moderne der Bauhaus-Universität Weimar (Norbert Korrek, »Bauen und Gesellschaft«. Schriften in der DDR, in: Flierl und Oswalt, Hannes Meyer und das Bauhaus, S. 549–566, hier S. 559).
[4] In einem kurzen Vermerk des Direktors des Instituts für Theorie und Geschichte der Baukunst vom 11. Juli 1957, wonach für eine publizistische Auswertung und somit wohl letztlich auch angedachte Übernahme verschiedener Nachlässe (genannt werden »[Heinrich] Tessenow, Bruno Taut, H. Meyer«) derzeit allerdings keine Kapazitäten bestünden. IRS Erkner / Wissenschaftliche Sammlungen, Sammlungsarchiv, Aktenordner »Architekturmuseum« (Erwerbungsunterlagen), Vermerk von Gerhard Strauss vom 11. Juli 1957. Siehe dazu auch Drewes, Museumsrhetorik? (wie Anm. 1), S. 226. Demzufolge muss aber an der Bauakademie eben schon Mitte der 1950er Jahre erstmals der Gedanke aufgekommen sein, Zugang zum sicherlich wiederum zu dem bei Lena Meyer-Bergner befindlichen Hauptnachlass ihres verstorbenen Mannes zu bekommen.
[5] Vgl. die maschinenschriftliche Abschrift eines Briefs von Lena Meyer-Bergner an Konrad Püschel vom 2. Mai 1968, die dieser am 30. August 1968 Junghanns übersandte, abgelegt unmittelbar hinter dem Durchschlag von Junghanns‘ hier besprochenem Brief. IRS Erkner / Wissenschaftliche Sammlungen, A_3_54.
[6] Zu den Hintergründen der zu dieser Zeit nur mehr phantomhaften Museumsidee von Junghanns (die einzig 1965/66 für kurze Zeit ein wenig realistischer erschien) und seinem Manövrieren angesichts disruptiver Kurswechsel in Politik und Bauwesen der DDR ausführlicher Drewes, Museumsrhetorik? (wie Anm. 1).