Achim Felz: Entwurf zur Gestaltung der Bauausstellung 1987
Vor 33 Jahren wurde die letzte große Bauausstellung der DDR geschlossen. Zwischen dem 18. Mai und dem 31. August 1987 wurde die Ausstellung unter dem Titel „Bauen zum Wohle des Volkes“ in der Berliner Dynamo-Sporthalle und auf den umliegenden Freiflächen gezeigt. Sie war eine von vielen Ereignissen, die das Jubiläumsjahr „750 Jahre Berlin“ begleiteten. Auf der 6000 m² großen Fläche der Sporthalle und der über 25.000 m² großen Freifläche wurden dem interessierten Publikum 1.500 Exponate, Bilder und Modelle gezeigt. Ergänzt wurde die Ausstellung durch Vortragsveranstaltungen, Rundfahrten zu Baustellen und Besprechungen zwischen Bürgern und Fachleuten.
Bis heute scheint diese Bauausstellung kaum im Forschungsdiskurs zur (Architektur-)Geschichte der DDR angekommen zu sein. Umso interessanter ist daher das in diesem Monat vorgestellte Fundstück, das sich im Vorlass des Architekten Achim Felz (geb. 1933) in den Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS befindet – schon im letzten Beitrag haben wir unter anderem ein Entwurfsmodell von Felz in den Fokus unserer Betrachtung gestellt. In diesem Monat wollen wir den Blick auf eine Zeichnung von ihm werfen (siehe Abbildung 1): Auf ungefähr 50 x 70 cm zeichnet der damalige Mitarbeiter des Instituts für Städtebau und Architektur (ISA) der Bauakademie der DDR mit Tusche und Aquarellfarben seinen ersten Entwurf zur Gestaltung der Bauausstellung. Diese Plancollage ist auf den 19. Oktober 1986 datiert.
Im Zentrum der Zeichnung steht eine axonometrische Darstellung des Grundrisses. Deutlich sichtbar ist die von Felz angedachte Mehrgeschossigkeit durch die eingezogene Galerie. In Verbindung mit dem Grundriss des Ausstellungsraums mit farblicher Kennzeichnung der verschiedenen Höhenlagen der begehbaren Ebenen werden die einzelnen Ausstellungsinhalte verdeutlicht. Vom Haupteingang aus liegt gleich links ein viertelrunder Treppenaufgang, der den „Säulenwald Wirtschaft“ umrundet. Demgegenüber wird die Entwicklung Berlins dargestellt. Auf der ersten Galerieebene präsentieren U-förmige Ausstellungsmöbel das Bauen in den Bezirken, gegenüber werden Modelle gezeigt. Mit wenigen Stufen gelangt man dann auf die zweite Galerieebene, wo der Ausstellungsfokus auf „Planung/Projektierung/EDV“ liegen soll. Auf der dem Haupteingang gegenüberliegenden Seite steht eine raumhohe Installation, auf der die Republikbilanz zu sehen sein wird. Der hintere Teil der so umgebauten Sporthalle war von Felz wohl als „Grüner Hinterhof“ mit der Ausstellung der „Mach-Mit-Initiativen“ geplant, wie es die Beschriftung dieses Bereichs andeutet.
Abbildung 1: Zeichnung von Achim Felz, 19. Oktober 1986
Im Zentrum der Sporthalle und damit auch der Ausstellung steht allerdings die „gläserne“ WBS 70-Wohnung, die auf der Eingangsebene umrundet und von der ersten Galerieebene aus auch von oben betrachtet werden kann. Ein besonderer Effekt, von Felz auf dieser Plancollage auch schon als Gestaltungsidee vermerkt, ist das sich drehende Podest, auf dem die Wohnung steht.
Zwei Innenraumperspektiven im unteren Bereich des Blattes vermitteln einen Eindruck der ersten Vorstellungen von Achim Felz zur Ausstellungskonzeption. Die linke Zeichnung zeigt den Blick auf den Eingangsbereich: Auffällig sind die kugeligen Strukturen an der Decke, die vom Eingang zur Rundtreppe führen und damit den Ausstellungsweg kennzeichnen. In einer Notiz werden diese Strukturen als „Plastikkugeln, Ballons oder Seidenbänder“ spezifiziert. Auch in der zweiten Perspektive – dem Blick vom Eingang aus – ist diese Struktur an der Decke der Sporthalle zu erkennen. Besonders fällt hier auch die Farbgebung der Bauelemente auf: Die Geländer der Galerieebenen und Treppen sind in knalligem Rot, die Decke der Sporthalle in einem Hellblau eingezeichnet. Ausgefallen wirken auch die kunstvoll eingezeichneten Ausstellungsmöbel.
Abbildung 2: Achim Felz, Zeichnung des Außengeländes mit Lageplan, 12. November 1986
(IRS Erkner / Wiss. Samml., Sig. C74_229-F001)
Abbildung 3: Achim Felz, überarbeitete Gestaltung des Ausstellungsraums, 30. November 1986
(IRS Erkner / Wiss. Samml., Sig. C74_229-F005)
Auf der oberen linken Hälfte der Collage sind zwei Zeichnungen des geplanten Außenraums zu sehen. Die untere zeigt die Nordseite der Dynamo-Sporthalle, an der eine „Traditionslinie der Hebezeuge, Gerüste und Transportmaschinen“ ausgestellt werden soll. Hier schon angedeutet und auf der oberen Zeichnung in den Fokus gerückt ist das Zelt vor dem Haupteingang zur Sporthalle. Die eindeutige Referenz an die Zeltkonstruktion des Deutschen Pavillons auf der Weltausstellung in Montreal 1967 von Frei Otto wird durch mehrere Hochpunkte verstärkt. Unterhalb des so entstehenden textilen Raums sollen – wie schriftlich vermerkt – Informationsstände untergebracht werden, außerdem soll es als „Treffpunkt und Wartehalle für Abfahrten“ dienen.
Diese Zeichnung, Mitte Oktober 1986 entstanden, muss einen der ersten Entwürfe zur Ausgestaltung der Bauausstellung festhalten, alle weiteren sowohl publizierte als auch im Vorlass von Felz vorhandenen Zeichnungen später datiert sind: Der Außenraum (siehe Abbildung 2) wird bis Mitte November 1986 weiter ausgearbeitet, der Innenraum bis Ende desselben Monats (siehe Abbildung 3). In beiden Ausarbeitungsstufen sind zwar mehr Details zu erkennen, aber auch eine deutliche Vereinfachung des Ausstellungskonzepts. Die Konstruktion des Zeltdachs wirkt weniger komplex, die Ausstellungsmöbel im Innenraum weniger expressionistisch und die roten Geländer weniger markant. Auch die zweite Galerieebene entfällt schon hier. Stattdessen wird eine in der ersten Zeichnung angekündigte Gestaltungsidee ausgearbeitet: Auf der Zeichnung im Oktober schreibt Felz von Videosimulationen, die er nun hier gegenüber dem Haupteingang einzeichnet und in der Legende als „Video-Bildwände mit Spiegeleffekt über Wasserbecken (Auftaktprogramm)“ spezifiziert.
Die Ausführung dieser Ausstellungsideen fällt etwas weniger künstlerisch, dafür beinahe konstruktivistisch aus. Die Zeltkonstruktion (siehe Abbildung 4) wird mit nur noch einer Hochspitze ausgeführt, bildet aber noch immer einen markanten Auftakt der Ausstellung und beherbergt den Informationsstand. Der Innenraum der Ausstellung (siehe Abbildungen 5, 6 und 7) wird dominiert durch die „gläserne Wohnung“ im Zentrum der Halle.
Die ursprünglich roten konstruktiven Elemente sind in einem gedeckteren und weniger auffälligen Gelb gestrichen. Ebenso gelbe Rohrgerüste bilden eine einzelne, fast raumhohe Skulptur aus, zwischen die Stangen sind blaue Textilien mit Regenbogen und dem Titel der Ausstellung „Bauen zum Wohle des Volkes“ gespannt. Insgesamt wirkt die Ausstellung deutlich voller, viele Ausstellungswände bieten den Besucherinnen und Besuchern Informationen zu den einzelnen Ausstellungsthemen. Neben der „gläsernen Wohnung“ wird hier als weiterer Höhepunkt der Ausstellung auch das mehrere Quadratmeter große Modell von Ost-Berlin gezeigt, das heute in einer Dauerausstellung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen steht.
Abbildung 4: Zeltkonstruktion vor dem Haupteingang
(IRS Erkner / Wiss. Samml., Sig. C74-228)
Abbildung 6: Blick auf die „gläserne Wohnung“
(IRS Erkner / Wiss. Samml., Sig. C74-228)
Abbildung 5: Blick in die Ausstellung mit der
Ausstellungsskulptur aus einem gelben
Rohrgerüst und dem Berliner Stadtmodell
im Vordergrund
(IRS Erkner / Wiss. Samml., Sig. C74-228)
Abbildung 7: Besucher*innen betrachten die
eingerichtete Wohnung
(IRS Erkner / Wiss. Samml., Sig. C74-228)
Ost vs. West:
Sporthalle vs. Neue Nationalgalerie
Die Exponate der Bauausstellung in Ost-Berlin widmen sich dem gesamten Bauwesen: nicht nur dem aller Bezirke der DDR, sondern auch dem Bauen in seiner Gesamtheit – von zukünftigen Entwürfen bis zur Ausstellung neuester Baumaschinen. Sie zelebriert damit nicht nur das 750-jährige Stadtjubiläum Berlins, sondern stellt auch eine Leistungsschau der DDR dar. Einmal mehr wird hier die Konkurrenz zum anderen Stadtteil verdeutlicht: Auch dort wird selbstverständlich das Jubiläum gefeiert. Der Journalist Manfred Sack fasst in einem Artikel in der westdeutschen Zeit das Problem zusammen: „Die prahlerische Konkurrenz ist verwirrend und ermüdend, am Ende wird man von Vergeblichkeitsgefühlen beschlichen: Welcher Einladung folgen, welche ausschlagen? Wann war was? Und wo? Die Programmbücher [beider Stadtteile] sind dick.“
Dabei unterscheiden sich die beiden großen Bauausstellungen in den beiden „Berlins“ entscheidend: Der die Gesamtheit des Bauwesens darstellenden Ausstellung im Osten steht die rein auf die Internationale Bauausstellung „IBA 84/87“ ausgerichtete West-Berliner Schau gegenüber. Statt vielen Informationstafeln und Exponaten sowohl im Innenraum als auch rund um die Dynamo-Sporthalle konzentriert man sich in der Neuen Nationalgalerie unter dem Titel „750 Jahre Architektur und Städtebau in Berlin“ auf die Darstellung der inzwischen umgesetzten Entwürfe der unter den Leitbildern „Behutsame Stadterneuerung“ und „Kritische Rekonstruktion“ entstandenen Bauten sowie einer Erläuterung der Baugeschichte Berlins. Mit dieser Ausstellung fand die IBA in West-Berlin ihren Höhepunkt und Abschluss: Die Modernisierung der Altbaubestände und Neuinterpretation der historischen Altstadt hatte mit den im Rahmen der IBA seit 1978 umgesetzten Planungen auch weit in die 1990er Jahre hinein Auswirkungen auf die Stadtplanung. Dabei waren auch in der Ost-Berliner Ausstellung diese Themen vertreten: Modelle von Beispielen des innerstädtischen Wohnungsbaus mithilfe des Plattenbaus wie in der Friedrichstraße oder auch die „Rekonstruktion“ des Holländischen Viertels in Potsdam werden als „Verbindung von Neubau, Modernisierung und Erhaltung“ sowie „Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990“ beschrieben. Einmal mehr zeigen sich hier die Parallelen der west- und ostdeutschen Architekturgeschichte.
In dieser Entwurfsgenese werden Achim Felz‘ Intentionen deutlich, die er im die Ausstellung reflektierenden Artikel in der Zeitschrift Architektur der DDR und in einem kaum bekannten kleinen „Ausstellungskatalog“ zur Ausstellung formuliert: Die gläserne Wohnung war von Beginn an als Zentrum der Ausstellung gedacht – sie sollte als Sinnbild für das Programm des komplexen Wohnungsbaus allen Besuchern und Besucherinnen der Ausstellung die Wandelbarkeit und Modernität der WBS 70-Wohnung, deren Entwicklung auf eine Studie von Achim Felz und Wilfried Stallknecht zurückzuführen ist, zu demonstrieren. Auf einer Drehscheibe montiert und mit transparenten Außenwänden versehen, konnte man die Einrichtung der Wohnung sowohl auf Augenhöhe als auch von der Galerie aus von oben betrachten. Die Galerien waren vor allem eingezogen worden, um die Ausstellungsfläche zu vergrößern, aber auch um die Besuchertribünen der Sporthalle zu überbauen. Außerdem sollten einladende Wege und einprägsame Blickpunkte die Ausstellung auch für breite Bevölkerungskreise leicht verständlich machen. Dass die ursprüngliche Signalfarbe Rot durch ein Gelb ersetzt wurde – auch die Zeltkonstruktion war mit gelbem Textil bespannt – nimmt der Hervorhebung der Wegeführung und Konstruktionselemente zwar etwas die Deutlichkeit, ergibt aber ein kohärentes Ausstellungsdesign.
Die Ausstellung selbst, das zeigen verschiedene Fotografien, war vielbesucht. Hans-Jürgen Kluge, ebenfalls Mitarbeiter am ISA der Bauakademie der DDR, führt die „große Resonanz auf die Ausstellung“ in einem Artikel in der Architektur der DDR unter anderem auf die umfangreichen und mannigfaltigen Ausstellungsgegenstände, aber auch auf die „Optimismus und Zuversicht“ ausstrahlende „attraktive großzügige Ausstellungsgestaltung“ zurück. Im Duktus der Zeit fügt er hinzu, dass „unsere Politik zum Wohle des Volkes […] wohl erstmalig vom Bauwesen so beweiskräftig und anschaulich“ vorgeführt worden war – und begründet entsprechend den Ausstellungstitel „Bauen zum Wohle des Volkes“.
Literatur
„Wat de kriegen kannst, det nimmste“. SPIEGEL-Redakteur Karl Heinz Krüger über den geteilten Jubel zur 750-Jahr-Feier in Berlin, in: DER SPIEGEL vom 5. Januar 1987.
Bauausstellung der DDR 1987: Report. Bauakademie der DDR-Bauinformation. Berlin 1987.
Hans-Jürgen Kluge: Bauausstellung der DDR – Bauen zum Wohle des Volkes, in: Architektur der DDR (1987), H. 9, S. 17-21.
Achim Felz: Zur architektonisch-gestalterischen Konzeption der Bauausstellung 1987. in: Architektur der DDR (1987), H. 9, S. 22-27.
Manfred Sack: Auf den Pfaden schöner Originale. Zwei große Ausstellungen in der Jubiläumsstadt, in: DIE ZEIT vom 27. März 1987, https://www.zeit.de/1987/14/auf-den-pfaden-schoener-originale
Clemens Maier-Wolthausen: Bericht zum Workshop „Das doppelte Stadtjubiläum – Die 750-Jahr-Feiern 1987 in Ost- und West-Berlin“ am 8. September 2017 in der Gedenkstätte Berliner Mauer, https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/256082/bericht-zum-workshop-das-doppelte-stadtjubilaeum